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Literaturnobelpreis 2011
Satirisches vom 16. ColoniaCon in Köln (19. Juni 2004)
"...stehen die Kandidaten für die Literaturnobelpreisvergabe bis
2010 bereits fest. Für 2011 haben wir uns ganz gegen unsere Gewohnheit
entschlossen, einen Bewerber aus dem Bereich Abenteuerroman zuzulassen,
genauer gesagt: aus der heiß umstrittenen Science-fiction-Szene.
Selbstverständlich kommt nur der beste SF-Autor, beziehungsweise
das beste Autorenteam der Welt für eine Kandidatur in Frage. Und
wo findet man solche Leute? In Köln, auf dem legendären ColoniaCon,
wo mittlerweile zum sechzehnten Mal Tausende von SF-Autoren mit Abertausenden
von SF-Lesern zusammentreffen. Ermitteln Sie, welcher Serienheld dort
am beliebtesten ist und die größte Faszination auf die Besucher
ausübt. Alles weitere überlassen Sie dann uns - wer immer wir
auch sein mögen.
Sollten Sie in Köln auf der Strecke bleiben, müssen wir leugnen,
Sie zu kennen. Dieser CD-Player vernichtet sich in wenigen Sekunden selbst."
Durch einen Seitenausgang verließ ich das Hinterzimmer der chinesischen
Wäscherei, wo ich meine Instruktionen empfangen hatte. Kaum hatte ich
die Straße überquert, explodierte das Geschäft. Meine schwedischen
Auftraggeber nahmen es mit der Vernichtung des Beweismaterials offenbar sehr
genau. Zum Glück war Sonntag, und es befand sich niemand im Laden.
Um in der Stadt des Doms (es sind 509 Stufen bis zur Kirchturmspitze - und
509 Stufen zurück) nicht gleich als Privatdetektiv erkannt zu werden,
reiste ich in weiblicher Begleitung an. Mona verkörperte meine Idealvorstellung
von einer Frau: Sie war scharf wie ein Rasiermesser und stellte mir nie unangenehme
Fragen.
Mein Kontaktmann auf dem Con hatte mir eine exakte Wegbeschreibung zukommen
lassen. Doch der Feind schlief nicht. Ganz offensichtlich gab es zwielichtige
Kreise, die mein Erscheinen auf der Veranstaltung verhindern wollten - man
hatte mir eine gefälschte Karte mit irrwitzigen Angaben untergeschoben.
Gerade als Mona und ich im Begriff waren, uns rettungslos im undurchschaubaren
Straßendschungel von Köln-Deutz zu verlaufen, vernahmen wir das
vertraute Motorengeräusch einer italienischen Nobelkarosse. Hajo F. Breuer
kam uns im letzten Augenblick zu Hilfe. Ich kannte ihn von einem früheren,
gescheiterten Auftrag her (als ich vergeblich versucht hatte, herauszufinden,
was das F in seinem Namen bedeutet). Vor vielen Jahren war er aus der höheren
Beamtenlaufbahn ausgeschieden; seither verdiente er sich sein Geld als freiberuflicher
Lebensretter. Wenn jemand in der Lage war, den genauen Standort des ColoniaCon
auszumachen, dann er. Vertrauensvoll schlossen Mona und ich uns ihm an - und
gelangten so an unser Ziel.
Gleich im Eingangsbereich des verwinkelten, von Geheimtunneln durchzogenen
Con-Gebäudes überreichte mir mein Kontaktmann Achim Mehnert (vermutlich
ein Deckname) unauffällig eine Liste mit Schwarzweißfotos. Die darauf
abgebildeten Personen sahen ziemlich übel aus. Kein Wunder, gingen doch
die meisten von ihnen keinem anständigen Beruf nach; statt dessen verdingten
sie sich als Schriftsteller.
Ich pfiff durch die Zähne, als ich drei Autorenamen las, die mir mächtig
bekannt vorkamen.
Manfred Weinland - laut Zeitungsberichten war er 2003 einem hundsgemeinen Giftanschlag
zum Opfer gefallen. Jemand hatte ihm schlechte Erde (!) in den Morgenkaffee
getan.
Werner Kurt Giesa - er war im gleichen Jahr angeblich von einem verrückten
Professor entführt worden. Schon damals hatte ich begründete Zweifel
an dieser Version, denn es gab Gerüchte, daß es sich bei Giesa und
Professor Zamorra um ein und dieselbe Person handelte.
Hubert Haensel - auch ihn ereilte 2003 ein vermeintlicher Schicksalsschlag.
Er bereiste mit einem selbstgebastelten Raumschiff fremde Welten im All und
kehrte nie mehr zurück.
Alles gelogen! Die drei spazierten hier fröhlich herum. Wahrscheinlich
hatten sie sich an ein stilles Plätzchen zurückgezogen, um ein paar
Monate Ruhe vor ihren zahlreichen Fans zu haben - und jetzt waren sie wieder
voll da!
Kam einer von ihnen als Literaturnobelpreisträgeranwärter (schwieriges
Wort!) in Frage? Ich beschloß, sie im Auge zu behalten.
An der Bar suchte ich Kontakt zu weiteren Autoren. Ein ziemlich heruntergekommener,
nicht mehr ganz nüchterner Typ namens Grave gab mir ein Kölsch aus.
(Ein verdammt gutes Bier! Was ist sein Geschmacksgeheimnis? Diesen Fall mußte
ich später lösen.) Grave lallte mir die Tasche voll und zählte
mir haarklein alle seine Veröffentlichungen auf. Ein furchtbarer Angeber!
Als er alkoholbeseelt auf seinem Barhocker einschlief, schlich ich mich heimlich
davon.
Mittlerweile hatte Weinland eine Schar Con-Besucher um sich herum versammelt
und zog sich mit ihnen in eine Art Verhörzimmer zurück. Dort mühte
er sich redlich ab, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Obwohl er seine
Zuhörer mehrfach aufforderte, sich endlich zu seiner neuesten Romanserie
zu äußern, sagte keiner einen Ton. Offensichtlich gehörten
sie samt und sonders irgendeinem Mönchsorden an und hatten ein Schweigegelübde
abgelegt. Erst mit viel Hartnäckigkeit und noch mehr Redegewandtheit gelang
es ihm, wenigstens ein paar der Mönche zum Sprechen zu bringen. Einige
Zuhörer rangen sich ein Lächeln ab, und irgendwo wurde sogar gelacht,
laut und herzlich. Vor allem das überraschende, verspätete Auftauchen
einer geheimnisvollen Schönheit namens Uschi Zietsch alias Susan Schwartz
trug wesentlich zur Auflockerung der verkrampften Atmosphäre bei.
Mein Mißtrauen wurde geweckt. Waren die beiden Frauen wirklich das, was
sie vorgaben zu sein? Und wer war dieser Alias?
Ich mischte mich mit Mona wieder unters Lesevolk und sah mich in den Nachbarzimmern
um. Wohin man schaute: Bücher und Heftromane, Heftromane und Bücher.
Sogar auf dem Durchgang zum Klo standen strategisch verteilt Tische mit Büchern
und Heften namhafter Autoren - die es teilweise gratis mit dazu gab.
Ich sperrte Augen und Ohren weit auf und stellte fest, daß ein ganz bestimmter
SF-Serienheld öfter vertreten war als alle anderen. Sein Name fiel immer
und immer wieder, und man sprach mit einer gewissen Ehrfurcht von ihm. Manche
Besucher redeten fast ausschließlich über ihn, als wären all
die anderen Romanhelden gar nicht auf dem ColoniaCon vertreten.
Mona fiel das ebenfalls auf.
"Man könnte meinen, die Leute seien vor allem seinetwegen gekommen", sagte
sie und fügte euphorisch hinzu: "Er ist wirklich ein toller Kerl, und seit
Jahrzehnten weltweit bekannt, dieser...."
"Ganz meine Meinung", unterbrach ich sie. "Der Mann übt eine ungeheure Faszination
auf sein Umfeld aus. Damit dürfte mein Geheimauftrag wohl erledigt sein."
Dennoch wollte ich mir letzte Gewißheit verschaffen. Als kurz darauf
aufgeregte Massen zu einer neuen Veranstaltung in den Verhörraum strömten,
gingen Mona und ich mit. Auf einer kleinen Bühne versammelten sich Giesa,
Weinland, Haensel, Breuer, mein Kontaktmann Mehnert, ein verschmitzt dreinblickender
Mann namens Alfred Bekker sowie ein respekteinflößender Kerl, den
alle hochachtungsvoll mit "Captain, o mein Captain" anredeten.
Anhand einer Liste fragte der Captain alle Namen ab und stellte schließlich
fest: "Grave fehlt. Hat ihn jemand gesehen?"
"Ich weiß nicht mehr genau, wie der Bursche eigentlich aussieht", erwiderte
Weinland. "Aber Hajo kennt ihn seit Jahren von Angesicht zu Angesicht."
Breuer winkte ab. "Kennen ist zuviel gesagt. Zwar arbeiten wir seit fast 22
Jahren zusammen, einige Unterbrechungen nicht mitgerechnet, doch ich habe ihn
mir noch nie richtig angeguckt. Grave hat ein Allerweltsgesicht, das kann man
sich nur schwer merken."
Mir fiel der aufdringliche Kerl ein, der auf dem Barhocker eingeschlafen war,
und ich witterte meine Chance.
"Ich bin Grave!" sagte ich mit fester Stimme und erhob mich von meinem Sitzplatz
im Zuschauerraum. "Entschuldigt bitte, Kollegen, ich dachte hier unten sei die
Bühne, und ihr seid die Zuschauer."
Achim Mehnert nickte. "Das ist einwandfrei Grave. Er ist bekannt dafür,
daß er sich dauernd verirrt."
Während ich mich auf die Bühne begab, blieb Mona in der ersten Reihe
sitzen. In ihrer unmittelbaren Nähe nahm ein weißblonder Mann Platz,
der mir aus meinen Akten bekannt war: Hansjoachim Bernt. Es hieß, Bernt
habe seine Finger in allen möglichen legalen Geschäften. Zudem stand
er in Verdacht, eng mit Hajo F. Breuer zusammenzuarbeiten, allerdings hatte
man ihm das noch nie nachweisen können.
Jetzt kam Bewegung in die Sache! Auf der Bühne wurden Mikrophone herumgereicht,
und jeder der oben Anwesenden mußte etwas sagen. Verdammt, ich saß in
der Falle! Oder?
Freiheraus redete ich einfach drauflos. Niemandem fiel auf, daß ich vom
Thema der Veranstaltung nicht die geringste Ahnung hatte. Mit rednerischem
Geschick wiederholte ich einfach, was die anderen sagten und klopfte noch ein
paar starke Sprüche. Es funktionierte, keiner merkte, daß ich nicht
mit dazugehörte.
Schon bald gingen mir Begriffe wie Drakhon, Mysterious, Nogk und Bitwar ebenso
leicht von den Lippen wie die Namen Chris Shanton, Jimmy, Terence Wallis, Artus
oder Gisol... Sogar beim Zungenbrecher Zyzzkt verhaspelte ich mich nicht.
Nach Abschluß dieser überaus erfolgreichen Veranstaltung betrachtete
ich meinen Auftrag endgültig als erledigt. Ich wußte jetzt, wer
all die Menschen zum ColoniaCon lockte und somit würdig war, (Achtung!
Jetzt kommt wieder das schwierige Wort!) Literaturnobelpreisträgeranwärter
zu werden. Der Name jener wahrhaft faszinierenden Persönlichkeit wurde
so oft auf dem Con und auf der Bühne genannt, daß es keinen Zweifel
mehr gab. Und weil er den Preis nicht selbst in Empfang nehmen konnte (er war
ja nur eine fiktive Romanfigur), würde das erfolgreiche Autorenteam an
seiner Stelle 2011 in Schweden auftreten müssen.
"Du hattest recht, die Leute sind wirklich nur seinetwegen gekommen", sagte ich
zu Mona, als wir später den Zug heimwärts bestiegen. "Ren Dhark ist
die beeindruckendste Persönlichkeit, von der ich je gelesen habe."
"Ren Dhark?" wunderte sich Mona. "Den habe ich vorhin gar nicht gemeint, sondern..."
Ich verschloß ihre süßen Lippen mit einem langen Kuß.
Schade nur, daß ich danach nie mehr erfahren habe, was sie sagen wollte...
U.H.G.
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