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Babylonische Verwirrung (2)

von Alfred Bekker

Erster TeilZweiter TeilDritter Teil


Stunden später... "Jetzt!" gab Denninger das Signal.
Die Energie aus den Speicherzellen des Schwebers ließ die Mammut-Zentrale von einem Augenblick zum anderen lebendig werden. Auf Dutzenden von Anzeigen und Displays blinkten Lichter.
"Wie lange wird dieser Zauber anhalten?" erkundigte sich Gorris mit skeptischem Gesicht.
Denninger zuckte die Achseln. "Wenn wir Glück haben, dann war das so etwas wie der Anschub für die Aktivierung der regulären Energieversorgung."
"Und ansonsten ist der ganze Zirkus gleich wieder vorbei, ohne daß wir auch nur einen einzigen Schritt weiter wären!" meinte John Telmon.
Denningers Blick richtete sich auf das Display eines Ortungsgerätes.
"Ich glaube wir bekommen Besuch!" stellte er fest.
Auf dem Sichtschirm war deutlich zu sehen, wie ein schwebendes Objekt hinter den die Sechseckanlage umgebenden kegelförmigen Gebäuden auftauchte.
Ein Kampfgleiter der Grakos.
Der Schutzschirm schimmerte matt.
"Ich hoffe nicht, daß unsere Energiesignaturen sie angelockt haben!" meinte Denninger.
"Quatsch nicht!" murmelte Gorris.
Der erste gebündelte Energieschuß, den der Gleiter abgab, traf den am Rande des sechseckigen Feldes abgestellten Schweber. Das Gefährt platzte regelrecht auseinander.
"Wenigstens die Energie haben wir genutzt!" war Gorris’ zynischer Kommentar.
"Zu dumm nur, daß wir damit nicht allzu weit kommen werden!" erwiderte Mel Denninger ziemlich gallig.
Auf dem Bildschirm des Ortungsgerätes war zu sehen, wie der Grako-Kampfgleiter mit seinen Strahlwaffen ein regelrechtes Feuerwerk veranstaltete.
Die Männer sahen starr vor Schrecken auf das, was sich draußen im Freien ereignete.
Das Mammut bekam einen Treffer.
Erneut blinkten Dutzende von Anzeigen auf.
Die tausend Jahre alte Mysterioustechnologie schien verrücktzuspielen.
Ein weiterer Treffer erschütterte den Mammut.
Das letzte Bild, das der Ortungsschirm anzeigte, war die Explosion eines Nachbargebäudes.
Offenbar brachten elektromagnetische Entladungen das Gerät anschließend zum Kollaps.
Ein schwarzer Energiestrahl drang in den nächsten Sekunden durch die Fassade des Mammuts.
Entsprechende Alarmanzeigen in der Zentrale machten darauf aufmerksam.
John Telmon, der Spezialist für extraterrestrische Technologie machte sich an den Konsolen zu schaffen. Aber auch er schien nicht zu durchschauen, wie sie zu bedienen waren.
"Hier bricht bald alles zusammen!" meinte Denninger.
Da öffnete sich in der Mitte des Raumes plötzlich ein Schacht, der in die Tiefe führte.
Beißender Qualm kam indessen bereits zwischen den Konsolen hindurch. Man konnte nur darüber spekulieren, was die Treffer des Grakogleiters angerichtet hatten. Aber die Schäden im technischen Innenleben der Zentrale schienen immens zu sein.
"Gasentwicklung in den äußeren Korridoren!" meldete Denninger, der die Anzeigen eines kleinen Ortungsgerätes ablas. "Wir müssen hier weg, sonst ersticken wir in nicht allzu ferner Zukunft!"
"Frischluftzufuhr ausgefallen – wie die meisten übrigen Systeme!" bestätigte John Telmon.
Der ohrenbetäubende Laut einer gewaltigen Detonation war ganz in der Nähe zu hören.
Risse zogen sich durch die Decke der Zentrale.
Offenbar hatte die oberhalb liegende Etage einen Volltreffer erhalten. Ein stechend riechendes, dunkelgelbes Gas quoll aus diesen Ritzen heraus.
John Telmon blickte hinauf, starrte die Schwaden an wie das Kaninchen die Schlange. Eine Sekunde nur verging. Eine Sekunde, die Telmon wie eine Ewigkeit erschien und die er später ständig von neuem vor sich sehen sollte wie eine Art Erinnerungsschleife, aus der es kein Entrinnen gab.
Eine gewaltige Detonation riß alles auseinander. Die Decke platzte regelrecht.
Gorris wurde durch die Luft geschleudert. Wie eine Puppe packte ihn die Druckwelle und schleuderte ihn gegen die Hauptkonsole. Er hatte nicht einmal mehr Zeit für einen Schrei. In eigenartig verrenkter Haltung rutschte er zu Boden.
Telmon hob instinktiv die Arme, um sich vor herunterstürzendem Material zu schützen. Das beißende Gas raubte ihm den Atem. Die Druckwelle schleuderte ihn in den Antigravschacht hinein, der sich inmitten der Zentrale geöffnet hatte. Er stürzte in die Tiefe. Das Antigravfeld war offensichtlich nicht aktiviert.
Das Ende! durchzuckte es Telmon.
Das muß das Ende sein.
Er hatte gehört, daß man in derartigen Momenten eine Art Film vor sich sah, in dem das eigene Leben im Schnelldurchlauf nochmals an einem vorbeizog.
Aber da war kein Film, der vor Telmons innerem Auge ablief. Während sich sein Körper drehte und er ungebremst in die Tiefe fiel, sah er über sich einen zweiten Körper.
Denninger.
Er ruderte mit den Armen, schrie wie von Sinnen.
Eine wahre Feuersbrunst erfüllte jenen Raum, der zuvor die Zentrale gewesen war. Jetzt war dort nichts als eine grausige Flammenhölle.
Telmon spürte die Hitze. Sie war mörderisch. Um so mehr mußte sie Denninger versengen.
Die enorme Druckwelle preßte die beiden Männer geradezu in die Tiefe.
Sekunden noch, dachte Telmon.
Dann habe ich es hinter mir.

*

Da war ein Strudel aus Farben und Formen. Alles verschwamm vor Telmons Augen. Schwindel erfaßte ihn. John Telmon verlor jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Eine Sekunde? Eine Million Jahre? Das alles schien jetzt nichts zu bedeuten. Er sah immer wieder die Szene vor sich, wie Gorris gegen die Konsole geschleudert wurde. War es nicht eine Ironie? Seinetwegen waren sie hier, in dieser geheimnisvollen Anlage. Er hatte das ganze Unternehmen finanziert. Denninger und Telmon hatten lediglich ihre Fähigkeiten und ihr Fachwissen eingebracht, auch wenn sie formell als gleichberechtigte Partner galten.
Und jetzt...
Vielleicht bist du auch schon tot! dachte Telmon. Flimmernde Reste eines Bewußtseins, das bereits in Auflösung befindlich ist...
Er hatte das Gefühl, als ob sein Fall extrem gebremst würde. Ihm wurde schlecht. Er spürte einen schier unerträglichen Druck auf den Augen und in der Magengegend.
Möglicherweise ist der Antigravschacht auf den tieferen Ebenen noch intakt! Dieser Gedanke schoß Telmon durch den Kopf. Ein absurder Gedanke! schalt ihn daraufhin sofort eine Stimme aus einem hinteren Winkel seines Bewußtseins. Du hättest hunderte von Metern tief fallen müssen...
Aber wer wußte schon, in welche Tiefen diese Anlage der Mysterious tatsächlich hinabreichte. Niemand. Die merkwürdige Gesteinsschicht hatte exakte Analysen verhindert.
Telmon spürte einen Sog, der ihn seitwärts zog. Hinein in einen Raum, der von rosa Licht erfüllt war. Telmon riß die Augen auf. Aber er sah nichts. Nichts außer Schlieren aus Licht. Seine Sehnerven waren auf das Äußerste gereizt. Er versuchte die Augen zu schließen, aber das nützte nichts. Das ihn umgebende Licht war derart intensiv, daß es durch seine Augenlider glatt hindurchleuchtete. Nicht einmal eine Rotfärbung bewirkten sie...
Wie bei einem direkten Impuls auf den Sehnerv, der gar nicht erst den Umweg über die Netzhaut zu gehen brauchte...
Telmon fühlte festen Boden unter sich.
Dann erlöste ihn die Ohnmacht.
Dunkelheit umgab ihn.
Das Flimmern und Flackern, daß seine Sinne bis dahin überstrapaziert hatte, verschwand.
Da war nur noch das Nichts.
Und Kälte.

*

Telmon spürte, wie ihn jemand an den Schultern rüttelte. Er erwachte und blickte in Denningers blaue Augen.
"Na endlich! Ich hatte schon befürchtet, daß du dich ganz abgemeldet hättest!"
"Mel!"
"Ja, krieg dich wieder ein! Ich habe auch erst mal ’ne Weile darüber gestaunt, daß ich noch da bin. Das kannst du dir also sparen..."
Telmon schluckte.
"Gorris..."
"Der ist nicht mehr. Ich glaube nicht, daß er eine Chance hatte, zu überleben!"
Telmon atmete tief durch, blickte sich um und sog die würzige Luft ein.
Meeresluft...
Telmon schreckte hoch, ließ den Blick über die Umgebung schweifen.
Ein Meer erstreckte sich, soweit das Auge reichte. Denninger und Telmon befanden sich mitten auf dem Sechseck-Feld, auf dem noch vor kurzem der Schweber beim Angriff des Grakogleiters zerplatzt war. Jetzt gab es allerdings nirgends auch nur eine Spur von dem Gefährt.
Hinter den Ringpyramiden, die das Gelände abgrenzten, begann eine eigenartige Küste. Das Meer reichte bis etwa hundert Meter an die Anlage heran. Sanft schlugen die Wellen ans Ufer. Salzgeruch hing in der Luft. Die Sonne Babylons spiegelte sich in den Fluten. Hier und da ragten weitere Mysteriousgebäude aus dem Wasser heraus.
"Mein Gott", flüsterte Telmon.
Er erhob sich.
Ihm war noch etwas schwindelig. Ein leichter Kopfschmerz ließ ihn mit dem Zeigefinger der Rechten gegen die Schläfe drücken.
"Scheint ’ne Menge passiert zu sein, seit wir weg waren", kommentierte Denninger.
"Weg? Was meinst du damit?"
"Weggetreten. Was weiß ich. Du siehst ja selbst, was hier los ist. Die ganze Gegend ist überschwemmt worden."
"Vielleicht der Einfluß eines Grakoangriffs?"
"Nein. So viel Wasser gibt es in der Gegend überhaupt nicht. Du weißt, wie sorgfältig ich die geologischen Untersuchungen durchgeführt habe."
"Sicher."
"Verdammt, ich habe nicht den blassesten Schimmer, woher das ganze Wasser kommt!"
Telmon faßte sich unwillkürlich an die Hüfte. Aber von der technischen Ausrüstung, die er normalerweise bei sich trug, war nichts geblieben. Kein Blaster, kein Ortungsgerät. Lediglich ein Taschenvipho. John Telmon nahm es in die Rechte, aktivierte es.
"Vollkommen tot!" meinte er. "So, als gäbe es kein Kommunikationsnetz mehr auf Babylon."
Denninger machte ein ernstes Gesicht, kratzte sich dann im Nakken.
"Vielleicht gibt es das ja auch tatsächlich nicht mehr", vermutete er. "Ich meine, wir wissen doch alle, was die Grakos auf Welten übriggelassen haben, die von ihnen heimgesucht wurden..."
"Stimmt auch wieder."
"Fragt sich nur, wie wir an die Oberfläche gelangt sind."
"Du kannst dich nicht erinnern?" hakte Telmon nach.
Denninger schüttelte den Kopf.
"Nein."
"Du bist..."
"...hier erwacht, so wie du. Nur, daß da niemand nachhelfen mußte." Er grinste schief. Sein Humor fiel bei seinem Gesprächspartner im Augenblick allerdings auf alles andere als fruchtbaren Boden.
"Was ist nur mit uns passiert?"
"Keine Ahnung."
Sie schwiegen.
Telmon drehte sich um. Die Szenerie, die sich ihnen darbot, erinnerte an eine gewaltige Überschwemmung, die weite Teile des Planeten in Mitleidenschaft gezogen hatte. Das Gebiet, das "Die Pioniere" genannt wurde, war insgesamt relativ hochgelegen. Wenn hier das Wasser bereits bis zu den Anhöhen hinaufreichte, dann mußten sich andere Regionen Babylons hunderte von Metern unter dem Meeresspiegel befinden.
"Was immer auch geschehen sein mag, ich bin dafür, daß wir uns ein wenig umsehen", meinte Denninger.
Telmon nickte düster.
"Ja, wenn wir Grakos treffen, sollten wir besser darauf vorbereitet sein."
"Allerdings..."
"Gehen wir zum Mammut."
"Wenn du meinst."
Hast du nicht gesehen, wie das Mammut buchstäblich in die Luft flog? ging es ihm durch den Kopf. Du hast es gesehen und jetzt steht es wieder vor dir, als wäre nichts gewesen...
Denninger ging ein paar Schritte voran.
Telmon blieb stehen.
Mit diesem Widerspruch konnte er sich einfach nicht abfinden. Die Szene von Gorris’ Tod stand ihm wieder vor Augen. Der wie eine Puppe durch die Luft geschleuderte Körper, die sich ausbreitende Feuersbrunst...
Telmon atmete tief durch.
Denninger blieb stehen, drehte sich herum.
"Was ist los?"
"Ich komme schon", sagte Telmon.
"Na los!"

*

Weiter mit Teil 3

 
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