Ren Dhark
     
Home
Einstieg
Classic-Zyklus
Drakhon-Zyklus
Bitwar-Zyklus
Weg ins Weltall
Subserien
Lesereihenfolge
Background
Leser



Kein Stern für Menschen (2)

von W. K. Giesa (nach einer Idee von Heike Giesa)

Erster TeilZweiter Teil


Lefter ließ die eigenartigen Sichtungen überprüfen. Aber in keinem Fall wurden Spuren gefunden, die auf das Vorhandensein einer bisher nicht festgestellten Entität hindeuteten. Der Major war geneigt, die Sichtungen als Halluzinationen zu betrachten, dennoch gab ihm die Häufung zu denken. Es war, als würde sich ein Unsichtbarer in der Nähe der Terraner herumtreiben und sie beobachten.
Auch die Ortung erbrachte keine Resultate. Bio-Werte, die auf höher entwickelte Wesen deuteten, konnten nicht angemessen werden.
Was ist das für ein Planet? dachte Cass Lefter. Und warum müssen ausgerechnet wir immer auf solche Verrücktheiten stoßen? Erst Soradan, jetzt Solo…
Immer weniger konnte er sich vorstellen, daß aus dieser paradiesischen Welt ein Urlaubsziel für gestreßte Terraner werden konnte. Wenn die auch alle nach ein paar Tagen Anwesenheit von Halluzinationen heimgesucht wurden - nein danke!
Etwa zehn Tage nach der Landung auf Solo hatte dann Major Lefter selbst seine erste Halluzination.
Aber - war das wirklich eine Täuschung?

*

Sie waren zu dritt unterwegs - Lefters Mindestanforderung in Sachen Sicherheit. Der Major selbst, Oberleutnant Erkel und Leutnant Vanheiden.
"Da - da ist es wieder!" stieß Vanheiden hervor. Mit ausgestrecktem Arm wies er die Richtung.
Cass Lefters Augen wurden schmal. Etwas bewegte sich zwischen in schönster Farbenpracht blühenden Riesengewächsen. Ein Schemen, der blitzschnell wieder verschwand, als er sich entdeckt sah…?
Aber dann verschwand dieser Schemen doch nicht, sondern kam zurück.
Kam auf die drei Terraner zu!
Ein Mensch!
Eine Frau!
Unverkennbar, denn sie trug keinen Faden am Leib. Wunderschön sah sie aus, jung, mit einem vollendeten Körper, dessen Haut bunt gemustert war. Mit spielerischer Eleganz näherte die bunte Frau sich den drei Männern, Schritt für Schritt. Sie lächelte.
Vanheiden hatte im ersten Moment zum Paraschocker gegriffen, ließ ihn jetzt aber im Holster und wußte nicht, wohin mit seinen Händen. Wozu auf eine nackte, schöne Frau schießen, von der keine Gefahr ausging?
An Gefahr dachten auch Lefter und Erkel nicht.
Die Frau, deren Haut nicht mit Farbe bemalt war, wie Lefter anfangs vermutet hatte, sondern tatsächlich von Natur aus so bunt war - mit einem eigenartigen Muster - blieb vor ihnen stehen.
Er glaubte in diesem Anblick zu versinken und darin auch etwas zu erkennen, aber sein Zweiter Offizier stieß ihn an und riß ihn aus seinen Gedanken.
"Wer sind Sie, Lady?" fragte Erkel.
Die schöne junge Frau, die die perfekte Terranerin hätte sein können, wenn ihre Haut nicht diese seltsame Musterung und Färbung aufgewiesen hätte, lächelte und senkte den Kopf. Dann sah sie wieder auf.
"Das könnte ich euch fragen", sagte sie. "Ihr kommt von weit her. Ich heiße euch willkommen."
"Sie leben hier?" staunte der Oberleutnant.
"Natürlich. Was sollte ich sonst tun?"
"Aber dieser Planet kann niemals von Terra aus besiedelt worden sein. Wir wüßten davon", sagte Lefter. "Zu den Tel gehören Sie definitiv nicht, aber vielleicht zu den Mysterious?"
"Wen oder was meinst du damit?" fragte die Frau.
Sie sprach völlig akzentfrei. Sie zeigte auch keine Scheu oder Verlegenheit. Daß sie nackt war, machte ihr nicht das geringste aus, sie bewegte sich, als sei das für sie völlig normal.
Lefter schüttelte den Kopf, während Erkel weiter redete. Wieso spricht diese Frau akzentfreies Angloter, obgleich sie mit Sicherheit nicht von Terra kommt oder von einer unserer wenigen Kolonialwelten? Wo hat sie unsere Sprache gelernt?
Darauf fand er keine Antwort.
Und er bekam sie auch nicht, als er sich in das Gespräch einmischte und fragte: "Wie viele sind Sie? Wo leben Sie? Wieso haben Sie sich uns nicht schon früher gezeigt?"
Die bunte Lady lächelte ihn nur stumm an, wandte sich plötzlich ab und schritt davon.
"Hinterher", flüsterte Lefter. "Wir folgen ihr!"
Aber irgendwie funktionierte das nicht richtig. Obgleich die drei Männer sich sehr rasch bewegten und die Frau langsam ging, holten sie sie seltsamerweise nicht ein. Im Gegenteil, der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich, und dann war sie im Farndschungel plötzlich verschwunden, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen.
"Das glaubt uns kein Mensch!" stöhnte Leutnant Vanheiden kopfschüttelnd.

*

In der Nacht träumte er von dieser Frau, und nicht nur er. Am folgenden Tag berichteten insgesamt gut dreißig Männer der FO-VII, an unterschiedlichen Orten auf eine wunderschöne, fremde Frau mit bunter, gemusterter Haut gestoßen zu sein. Zwei der Männer hatten von ihren Kameraden nur mit Mühe davon abgehalten werden können, sofort auf die Fremde zu schießen.
Auch der Chef der Bordsicherheit warnte. "Solange wir nicht wissen, woher diese Frau kommt und woher sie unsere Sprache kennt, müssen wir in ihr eine potentielle Bedrohung sehen."
"In einer einzigen Frau?" Cass Lefter lachte.
"Wer sagt uns, daß es immer wieder dieselbe ist? Wer weiß, wie viele es von ihrer Sorte noch gibt. Vielleicht haben diese bunten Menschen sie nur vorgeschickt, um uns zu testen. Die Frau gibt sich harmlos und rätselhaft und wartet darauf, unsere Schwachstellen zu finden."
"Und wenn es so wäre?" fragte der Major. "Würden wir denn anders handeln?"
Zu denken gab allerdings, daß diese Frau eindeutig einer höheren Lebensform angehörte, die Biodaten aber immer noch nichts davon verrieten, daß es intelligente Wesen auf Solo gab. Und die Menschenähnlichkeit war einfach zu verblüffend…
"Ich müßte mal eines dieser Wesen auf den Tisch bekommen", schlug Dr. Naumann vor, Mediziner und Xenobiologe.
"Kommt überhaupt nicht in Frage!" wies ihn der Kommandant zurecht. "Wir werden diese Wesen nicht wie Tiere jagen, nur damit Sie ihren biologischen Aufbau studieren können. Aber Sie dürfen gern bei unseren nächsten Landausflügen mit dabeisein und versuchen, vor Ort durch eigene Anschauung mehr herauszufinden…"
"Ich hatte doch auch schon meine Begegnung, Major", winkte der Arzt ab. "Und nichts außer Staunen ist dabei herausgekommen. Diese Frau ist einfach phänomenal. Sie verfügt über ein immenses Wissen…"
"Über uns?" stieß Lefter überrascht hervor.
"Auch. Ich hatte bei der Begegnung das Gefühl, daß sie uns Terraner fast besser kennt als wir uns selbst, und daß sie über sehr umfangreiche Kenntnisse auf allen Wissensgebieten verfügt. Wie solch umfassendes Wissen in einen einzigen Menschenkopf hineingeht, ist mir allerdings ein Rätsel."
"Sie halten die Frau also für menschlich?"
"Für humanoid! Ob sie menschlich ist, kann ich erst feststellen, wenn ich sie eingehend untersuche."
"Worunter ihr Skalpelldompteure eine Sezierung versteht", brummte Lefter. "Abgelehnt, Doc. Denken Sie nicht mal daran."
"Wofür halten Sie mich, Major? Für einen Killer?"
Der Kommandant grinste ihn düster an. "Die Antwort wollen Sie ganz bestimmt nicht hören, mein Lieber…"

*

Es schien immer wieder nur diese eine Frau zu sein, die den Terranern begegnete und sie in Gespräche verwickelte. Gespräche, die mit der Zeit immer länger wurden. Dabei hatte es den Anschein, als versuche die Frau, viel über die Menschen in Erfahrung zu bringen, vor allem über die unterschiedlichen Individuen; selbst aber wich sie Fragen nach ihrer Herkunft oder anderen ihrer Art immer wieder sehr geschickt aus.
Major Lefter traf eine sehr unpopuläre Entscheidung - jeglicher Ausgang wurde gestrichen.
"Dann könnten wir auch gleich starten und den Planeten verlassen", kritisierte auch Imre Erkel die Entscheidung des Kommandanten. "Was bezwecken Sie mit Ihrer Maßnahme, Sir?"
"Ich will dieses Wesen aus der Reserve locken", sagte der Major. "Es scheint, als wolle diese bunte Frau den Kontakt mit uns, aber wenn sie dabei bemüht ist, uns auszufragen und selbst keine Antworten zu geben, mache ich dieses Spielchen nicht mit. Ist Ihnen an der Dame eigentlich etwas aufgefallen, Erkel?"
Der verzog das Gesicht. "Sir, wenn Sie damit nicht nur meinen, daß sie sich uns nach wie vor unbekleidet zeigt, sondern auch jeder Berührung ausweicht…"
"Das ist auch so eine Sache", unterbrach Lefter. "Sie weicht aus. Läßt sich nicht anfassen, von keinem von uns. Dabei müßte sie eigentlich wissen, was in uns Raumfahrern vorgeht. Eine reine Männermannschaft, von unserem Krankheitsfall mal abgesehen, und dann eine Frau, die sich geradezu provozierend darbietet…"
"Ich sehe in ihrer Nacktheit keine Provokation, Sir", widersprach Erkel. "Wie kommen Sie darauf? Für diese Frau scheint Nacktheit ebenso natürlich zu sein wie für uns Kleidung zu tragen."
"Wie ich darauf komme…" Cass Lefter stutzte. "Erkel, ich weiß es nicht! Und das erschreckt mich ein wenig! Wir haben das Auftauchen dieser Frau einfach so hingenommen, obgleich es nach den Daten unserer Bio-Messungen unmöglich sein dürfte, wie es auch unmöglich ist, daß sie als Nichtmensch unsere Sprache perfekt beherrscht…"
"Sogar wissenschaftliche Terminologie", warf Erkel ein. "Auf meinem Fachgebiet Bionik erwies sie sich als absolut ebenbürtig…"
"Sie haben sich über Bionik unterhalten? Himmel, Oberleutnant, da wüßte ich wirklich interessantere Themen…"
"Sir, und worüber haben Sie mit ihr geredet?"
Lefter wich der Frage aus. "Erkel, dieses Wesen fragt nur und antwortet nicht. Es weicht Berührungen aus, und wenn sie noch so harmlos gemeint sind. Was müssen wir daraus folgern?"
"Daß sie doch ein Gespenst ist, das nur keine Uhr besitzt und deshalb nicht weiß, wann Geisterstunde ist", kommentierte der Zweite Offizier trocken.
"Reden Sie doch kein Blech, Erkel. Was, wenn diese Frau nur eine Materialisation ist?"
"So etwas wie eine Holographie? Deshalb die Berührungsangst?"
"Vielleicht… oder?"
Imre Erkel zuckte mit den Schultern. "Aber wer sollte sie erzeugen? Es gibt nachgewiesenermaßen auch keine Technik auf Solo. Nicht einmal primitivste Grundlagen!"
"Vielleicht unter Ortungsschutz."
"Sir", sagte Erkel. "Wir sind jetzt schon fast zwei Wochen auf Solo. Wir hätten es gemerkt! Wir hätten es angemessen! Irgendwie!"
Später, in seiner Kabine, streckte er sich auf der Pritsche aus und starrte gegen die Decke. Ist Ihnen an der Dame eigentlich etwas aufgefallen? glaubte er den Major wieder fragen zu hören. Das Gespräch war dann von diesem Thema ganz schnell wieder abgekommen.
Ja, ihm war etwas aufgefallen.
Die Farbmusterung auf der Haut der Frau.
Schon beim ersten Zusammentreffen hatte sie ihn an etwas erinnert. Aber er kam nicht darauf, was es war.

*

Die Frau wartete draußen vor dem Schiff, das auf seinen gespreizten Landestützen parkte und mit seiner Größe von 200 Metern Kugelumfang ein massiges, gewaltiges Ungeheuer darstellte, das wie ein Wolkenkratzer himmelhoch aufragte.
Die bunte Frau stand einfach nur da und wartete.
Sie schien nicht müde zu werden.
Erkel betrat die Zentrale, um die Wache zu übernehmen und den Ersten Offizier abzulösen. Im Navigatorsessel hockte der Kommandant, machte aber keine Anstalten, selbst zu übernehmen. Er brütete vor sich hin. Warum er das nicht in seiner Kapitänskajüte tat, sondern in der Zentrale, war Imre Erkel ein Rätsel. Vielen in der Zentrale gefiel es nicht; es war nicht gut, wenn der Kapitän ständig präsent war. Man brauchte auch mal ein paar Minuten oder Stunden, um ungehört und ungestraft über ihn lästern zu können. Das war in jedem Schiff der TF so, das war schon vor dem Raumfahrtzeitalter bei Seefahrern so gewesen.
Einer der großen Bildschirme zeigte die Frau.
Plötzlich kam Erkel eine Idee.
Verrückt! schalt er sich selbst. Imre, du hast den Verstand verloren, wenn du wirklich an das glaubst, was du jetzt denkst! Aber dennoch wurde er diesen verrückten Gedanken nicht los.
Er rief Bilder aus dem Suprasensor ab. Bilder, die gespeichert worden waren, als die FO-VII den Planeten Solo mehrfach umkreiste, ehe sie an einer geeigneten Stelle landete.
Auf den zweiten Schirm!
"Was machen Sie da, Oberleutnant?" schreckte Lefter aus seinem Grübeln auf.
Statt einer Antwort streckte Erkel den Arm aus.
Zwei Bildschirme zeigten gleiche Muster, nur die Objekte, auf denen es diese Muster gab, waren unterschiedlich.
Noch unterschiedlicher hätten sie gar nicht sein können!
Das eine Objekt war der Planet Solo, vom Weltraum aus kartographiert. Erkels Finger flogen über Sensortasten, und die Bildwiedergabe änderte sich, zeigte eine Karte des Planeten jetzt als Mercatorprojektion. Im nächsten Moment wiederholte Erkel die Einstellungen am anderen Großbildschirm, der plötzlich die Frau völlig verzerrt und nicht mehr wiederzuerkennen projizierte - wie eine Landkartendarstellung!
"Kopieren - übertragen - Überdeckung… fast hundert Prozent!"
Erkel fiel es nicht auf, daß er ein Selbstgespräch führte.
Beide bunten Muster überlagerten sich und zeigten nur winzige Unterschiede!
"Zurück auf normal… gesehen, Major?"
Der war aus seinem Sitz aufgesprungen und starrte fassungslos die beiden Bildschirme an, die jetzt wieder die wartende Frau und den Planeten zeigten.
"Fast hundertprozentige Deckung…"
Das Muster auf der Haut der Frau entsprach der Verteilung der Kontinente auf Solo!
"Das, Sir, ist es, was mir so bekannt vorkam, nur bin ich die ganze Zeit über nicht darauf gekommen…"
Andere Landgänger, mit dem Phänomen konfrontiert, bestätigten Erkels Eindruck. Auch sie hatten sich an etwas erinnert gefühlt, ohne sagen zu können, worum es sich handelte. Imre Erkel hatte es als erster herausgefunden.
"Kein Wunder, daß Dhark Sie auf der POINT OF haben wollte", knurrte Lefter. "Sie haben Ihren Beruf verfehlt, Erkel. Sie hätten nicht Bioniker werden sollen, sondern Analyst oder Gestalter oder was auch immer…"
Oberleutnant Imre Erkel sah seinen Kommandanten an. "Was zum Teufel ist diese Landkartenfrau wirklich?"

*

"Was ich bin? Ahnst du es immer noch nicht?" fragte die bunte Frau, die immer noch geduldig neben dem Schatten des Kugelraumers wartete.
"Verrate es mir!" bat Imre Erkel. "Laß mich nicht dumm sterben!"
"Sterben? Oh ja, die Individuen deiner Spezies haben ja nur eine sehr begrenzte Lebensspanne. Eine Sekunde im Takt des Universums. Ihr seid vergessen, kaum daß es euch gibt, aber ich will niemanden von euch vergessen, sondern meine Träume mit euch teilen und eure Träume in mir erleben und daraus lernen, denn ich werde noch leben, wenn es eure Sonne längst nicht mehr gibt."
"Wer bist du?" wiederholte Erkel.
Zusammen mit dem Kommandanten und einigen Wissenschaftlern stand er der Frau gegenüber, deren Körper immer noch das Muster der Kontinente zeigte. Aber dann veränderte sich dieses Muster erstmals und wich einem Bild, das jeden von ihnen verblüffte; auf der Haut der Frau zeigte sich ein Ringraumer!
"Ihr seid nicht jene, obgleich eure Spezies die Raumer jener benutzt. Der sich Gui Ligano nennt, flog in einem dieser Schiffe."
"Das habe ich ihr nicht erzählt!" entfuhr es Ligano.
Erkel grinste. "Auch nicht die Story von dem Nomaden Wuff Happ?"
Ligano drohte ihm mit geballter Faust.
"Wer bist du?" fragte Erkel erneut.
Das Hautmuster änderte sich wieder. "Ich bin einsam", sagte die Frau. "Und ihr seid gekommen, um mir etwas Abwechslung zu bringen. Anfangs wußte ich nicht, ob ich euch vertrauen kann. Doch ihr habt euch als friedlich gezeigt, im Gegensatz zu jenen…"
Lefter trat vor.
"Du kannst unsere Gedanken lesen, nicht wahr?"
"Eure Gedanken und Wünsche. Deshalb zeige ich mich euch in dieser Form. Ebensogut könntet ihr jetzt mit einem Fisch kommunizieren, oder mit der - wie nanntest du es, Gui Ligano? Mit der hundeähnlichen Echse… du denkst viel an jenes hundeähnliche Wesen aus der Zweiten Galaxis, nicht? Dabei hast du es in Wirklichkeit nie kennengelernt, du hast die Geschichte deiner Begegnung erfunden, um die Anerkennung anderer deiner Art zu erlangen… Ihr könntet auch mit den Farnen sprechen oder mit den Insekten singen. Aber meine Erscheinungsform ist für euch begreiflicher."
"Und dennoch unbegreiflich", stieß Erkel hervor.
"Weil ihr nicht akzeptieren wollt, was ihr nicht kennt? Weil Fremdes für euch fremd bleibt? - Was ich bin, Imre Erkel, Terraner, Mensch, kurzlebiges Wesen? Ich bin alles."
"Was soll das heißen?" flüsterte der Bioniker erschüttert. "Das, was ich vermute?"
"Ja", sagte die Frau. "Das und nichts anderes."

*

Die Sonne Unikat und der Planet Solo lagen hinter ihnen.
Leichtgefallen war der Abschied von diesem außergewöhnlichen System keinem von ihnen, nachdem sie endlich wußten, womit sie es tatsächlich zu tun hatten.
Aber sie konnten nicht bleiben.
Schon gar nicht, nachdem sie informiert waren.
Gui Ligano und viele andere trauerten der verpaßten Chance nach, aus Solo einen Urlauberplaneten zu machen, dabei war ihnen klar, daß das so oder so unmöglich war. Zu fremdartig war das Sonnensystem für die Menschen, zu unbegreiflich. Es fiel schon manchen Wissenschaftlern an Bord der FO-VII schwer, es zu begreifen und zu akzeptieren - wie sollte man es da unbedarften Zeitgenossen vorsetzen?
Nein, es war keine verpaßte Chance. Es war überhaupt nie eine Chance gewesen.
"Ich bin alles."
Das hatte die bunte Frau gesagt, und es stimmte.
Sie war alles, und doch nur ein Teil des Ganzen, das sich in jedem Detail gleichermaßen präsentierte. Die Frau war nur eine Erscheinungsform jener Entität, die hier existierte und von Instrumenten nicht erfaßt und niemals berechnet werden konnte.
Das gesamte Sonnensystem war diese Entität.
Das System, bestehend aus einer Sonne und einem Planeten, war ein einziges Lebewesen! Eine unglaubliche Intelligenz, vor Jahrmillionen aus einer Laune der Natur heraus entstanden, und sie war einsam. Sie fürchtete jene, die nach kosmischen Maßstäben erst vor kurzer Zeit mit Ringraumschiffen die Galaxis durchrast hatten, sie fürchtete die Schattenkreaturen mit ihren unsichtbaren Kampfstationen, die Grakos, aber als die Terraner auftauchten, sah die Intelligenz eine Chance, Kontakt aufzunehmen und Freunde zu finden.
Ein aberwitziger Gedanke für eine Entität, deren Leben nach Jahrmillionen zählte, während die möglichen Freunde kaum mehr als ein Jahrhundert überdauerten, um zu dem Staub zu zerfallen, aus dem sie entstanden waren. Dennoch - es war besser als für immer einsam zu bleiben.
Als die Terraner kamen, veränderte die Entität die Erscheinungsform des Planeten so, daß die Besucher sich wohlfühlen mußten. Deshalb hatte die Ortung "unklare" Werte geliefert; in jenem Moment befand Solo sich in einer Phase der Veränderung.
Die Entität wartete ab, nachdem die Terraner landeten. Sie beobachtete und zeigte sich ihnen erst in einer ihnen vertrauten Erscheinungsform, als sie sicher sein konnte, daß von ihnen keine Gefahr drohte.
Sie las ihre Gedanken, ihre Gefühle, versuchte sich darauf einzustellen. Das Kartenmuster war ein Hinweis, doch es dauerte lange, bis die Besucher verstanden.
Sie fanden nicht zueinander.
Sie waren zu unterschiedlich in ihren Denkmustern. "Wir sind noch nicht reif genug, mit einer solchen Lebensform umzugehen", fand Imre Erkel, "die wir auf den ersten Blick nicht einmal als solche erkennen…"
Sie würden für lange Zeit die ersten und letzten Terraner sein, die Unikat angeflogen und Solo betreten hatten.
Sie schieden in Freundschaft von diesem Wesen - und in ehrfürchtiger Bewunderung einer Schöpfung, die menschliches Vorstellungsvermögen übertraf.
Vielleicht, dachte Imre Erkel, vielleicht werden wir eines Tages erfahren, wie ein solches Wesen entstehen kann. Wie ein Sonnensystem Intelligenz entwickeln kann.
Eines Tages…
… oder nie…

Ende

 
www.ren-dhark.de
Kontakt & Impressum